Fotokulisse zwischen Bodden, Bahn-Damm und Neo-Gotik
Das unscheinbare Örtchen Lietzow Rügen liegt genau dort, wo die Insel am schmalsten ist: Auf nur 300 Metern Breite treffen sich Großer und Kleiner Jasmunder Bodden. Für Fotograf*innen bedeutet das: zwei spiegelglatte Wasserflächen, doppelte Sonnenstunden – und jede Menge Motive, die du anderswo auf Rügen vergeblich suchst.
Gesamte Galerie ansehen1 | Morgengrauen am Bodden-Damm
Stell den Wecker auf eine Stunde vor Sonnenaufgang und geh zum alten Bahndamm nordöstlich des Ortes. Die Rügendamm-Trasse führt hier wie mit dem Lineal gezogen durchs Wasser. Bei Windstille spiegelt sich der erste Pfirsich-Ton des Himmels symmetrisch auf beiden Boddenseiten. Ein 24- oder 28-mm-Weitwinkel erfasst die gesamte Szenerie; 10 bis 20 Sekunden Belichtungszeit (ND 6 Stop) lassen das Wasser zu silbrigem Glas erstarren und ziehen die Scheinwerfer eines vorbeihuschenden Regionalzuges als Lichtstreifen über die Brücke – ein Signature-Shot für Lietzow Rügen.
Aufnahmetechnik
Alle in diesem Beitrag gezeigten Bilder wurden mit einer Rolleiflex 6008 Mittelformat-SLR und dem Teleobjektiv Schneider-Kreuznach Tele-Xenar 350 mm auf 120-Rollfilm aufgenommen. Das lange Tele komprimiert Perspektiven und isoliert Motive, während das 6×6-Negativ beeindruckende Details und weiches Bokeh liefert.
2 | Schlösschen Klein Lichtenstein – Neo-Gotik in Pastelltönen
Über dem Südufer thront das märchenhafte Schlösschen Klein Lichtenstein (nicht zu verwechseln mit dem schwäbischen Pendant). Die zartrosa Fassade leuchtet in der Goldenen Stunde förmlich. Nutze 50–85 mm Brennweite und stelle dich an den Uferweg unterhalb des Schlosses; so reflektiert das Wasser die Pastellfarben. Achte aber auf Gegenlicht: Ein leichter Polfilter bändigt Reflexionen und verstärkt den Himmelston.
3 | Steinstrand & Findlinge
Östlich des Ortes führt ein Trampelpfad zum steinigen Boddenufer. Zwischen knorrigen Kiefern liegen haushohe Findlinge, Überbleibsel der Eiszeit. Setze sie als Vordergrund ein, um Tiefe zu schaffen. Ein 14-mm-Objektiv lässt die massiven Steine monumental wirken und führt den Blick zum Horizont, wo das Kreideufer des Jasmund zum Greifen nah erscheint.
4 | Blaue Stunde an der Lietzower Klappbrücke
Zur Abenddämmerung glühen die LED-Lampen entlang der B96-Brücke auf. Positioniere das Stativ am Parkplatz „Uferweg 2“. Mit ISO 100, f/11 und 30 s Belichtung zauberst du sternförmige Lichtquellen auf die Wasseroberfläche und betonst die S-Kurve der Autospur. Tipp: Ein Grauverlaufsfilter bewahrt Struktur in den Restwolken, während das Boddenwasser bereits dunkel ist.
5 | Abstecher zum Naturwald Lietzow
Nur zehn Gehminuten westlich beginnt ein geschützter Laubwald mit uralten Rotbuchen. Hier lassen sich weiche Waldporträts schießen, wenn die Sonne flach durch den Nebel dringt. Ein 85 mm bei f/2 isoliert einzelne Stämme, während das Hintergrundbokeh in herbstlichen Goldtönen schimmert – ein Kontrast zur maritimen Weite des Bodden.
Fazit
Ob Neo-Gotik im Morgenlicht, Langzeitbelichtung am Bahndamm oder Findling-Giganten vor Kreidefernweh – Lietzow Rügen liefert auf wenigen Quadratkilometern Motive, die die große Schwester Sellin oder Binz in dieser Dichte kaum bieten. Pack ND-Filter, Polfilter und ein solides Stativ ein, prüfe den Tidekalender (bei Ostwind läuft der Bodden spürbar an) und plane mindestens einen Sonnenauf- und -untergang ein. So entsteht eine Bildserie, die die vielseitige Seele dieses schmalen Rügener Nadelöhrs authentisch festhält.